Sie sind hier: Startseite Forschung Forschungsprojekte Subjektive Risikowahrnehmung …

Subjektive Risikowahrnehmung beim städtischen Radfahren

Projektleitung

Dr. Rul von Stülpnagel

Fragestellung und Thema

Das Fahrrad ist gerade in Freiburg eines der wichtigsten Verkehrsmittel in der Innenstadt. Trotz einer ganzen Reihe positiver Aspekte wie bspw. Umweltfreundlichkeit und individueller Gesundheit wird Radfahren im städtischen Raum häufig als unangenehm und vor allem auch als gefährlich wahrgenommen. In dieser Arbeitsgruppe untersuchen wir, wie sich die Struktur und Konfiguration des urbanen Raums auf diese subjektive Risikowahrnehmung auswirkt. Weiterhin betrachten wir das Verhältnis von subjektiver und objektiver Sicherheit. Dabei wird ein weites Methodenspektrum genutzt, bspw. GIS Analysen, Eyetracking in natürlicher Umwelt, Space Syntax und immersive virtual reality setups.

Methoden und Ergebnisse

Repräsentativität von subjektiver Gefahrenwahrnehmung in crowdsourced data und Verteilung im urbanen Raum

Als Grundlage für eine möglichst breite Datengrundlage bezüglich der subjektiven Risikowahrnehmung dienen uns Crowdsourcing-Plattformen, in denen Bürger sogenannte "volunteered geographic information" (oder VGI) zu diesem Thema zur Verfügung stellen - in Freiburg beispielsweise das Projekt "www.besser-unterwegs-in-Freiburg.de".

In einem ersten Schritt konnten wir nachweisen, dass der von einem einzelnen Bürger anonymisiert geschilderte Eindruck der Gefährlichkeit tatsächlich eine hinreichende Repräsentativität besitzt: Versuchspersonen, die im Labor mittels einer Oculus Rift Cyberbrille 360°-Panoramabilder von gemeldeten Orten betrachteten, kamen zu einer ähnlichen Einschätzung der Gefährlichkeit dieses Orts (siehe Abbildung unten; von Stülpnagel & Krukar, 2018). 

 

In der selben Arbeit konnten wir auch zeigen, dass sich verschiedene Indikatoren wie die Anzahl der "Likes" eines Beitrags durch andere Nutzer oder die Zentralität einer Straße für das Stadtsystem ebenfalls als Prädiktoren für die subjektive Gefährlichkeit einer bestimmten Straßensituation genutzt werden können (siehe Abbildung unten). Die Zentralität einer Straße wird dabei mittels Space Syntax Analysen (in unten dargestellten Fall eine sogenannte Axial Map) ermittelt.

Aktuell beschäftigen wir uns am Beispiel der Stadt Freiburg mit der Frage, wie sich subjektive Sicherheit (gemessen durch die Dichte von VGI) und objektive Sicherheit (gemessen durch Unfallstatistiken) zueinander verhalten, und welche Infrastrukturmerkmale (bspw. Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs oder verkehrsberuhigte Zonen) hier von Einfluss sind. Von besonderem Interesse sind dabei die Orte, die subjektiv ungefährlich wirken, aber bei denen es häufig zu Unfällen kommt - hier gilt es, Radfahrer besser auf die Gefahrenquelle hinzuweisen. Im Gegensatz dazu haben Orte, die subjektiv gefährlich wirken, aber an denen vergleichsweise wenige Unfälle passieren, vermutlich eine abschreckende Wirkung, wenn Bürger zu einer vermehrten Nutzung des Rads ermuntert werden sollen (von Stülpnagel & Lucas, 2020).

Legende: Kartenausschnitt Freiburg Innenstadt. Gelbe und blaue Linien markieren Straßenzüge; gelbe und blaue Kreise markieren Kreuzungsareale. Rote Punkte markieren Unfälle; Grüne Punkte Berichte über subjektive Gefahrenpunkte.

Es ist davon auszugehen, dass größere und belebtere Straßen mit mehr Rad- und Autofahrern zu einer höheren Basisrate von subjektiv gefährlichen Erlebnissen sowie potentiellen Berichterstattern führt. Eine Interpretation der absoluten Dichte von Beiträgen dürfte also bspw. bei Hauptverkehrsadern zu einer Überschätzung ihrer Gefährlichkeit führen. Deshalb vergleichen wir in einer weiteren Studie die Verteilung von VGI und Unfällen mit dem Radverkehrsvolumen in München (von Stülpnagel, Petinaud, & Lißner, 2022).

Einflüsse lokaler Raumeigenschaften auf subjektive Gefahrenwahrnehmung und Blickverhalten 

Neben den oben dargestellten Analysen auf einer "globalen" und aggregierten Stadtebene untersuchen wir subjektive Gefahrenwahrnehmung auch hinsichtlich lokaler Raumeigenschaften und individueller Wahrnehmungsprozesse.

Wir entwickelten ein Tool zur Extraction von präzisen Isovisten (also dem von einem gegebenen Standpunkt aus sichtbaren zweidimensionalen Raums) aus LiDAR-Scans (Schmid & von Stülpnagel, 2018). Wir nahmen eine Abfolge solcher Isovisten sowie 360° Panoramabilder an als subjektiv gefährlich wahrgenommenen Radstrecken auf (siehe Abbildung unten). Die Eigenschaften und die Veränderung der aufeinanderfolgenden Isovisten war ein signifikanter Prädiktor für die Einschätzung der allgemeinen Gefährlichkeit einer Situation durch Probanden im Labor (von Stülpnagel & Schmid, 2019).

In einer weiteren Untersuchung nutzten wir ein mobiles Eyetracking Gerät, um die Blickbewegungen von Radfahrern direkt während des Fahrens zu untersuchen (Schmidt & von Stülpnagel, 2018; von Stülpnagel, 2020). Dabei überprüften wir einerseits den Zusammenhang des Blickfokus mit den als subjektiv als gefährlich wahrgenommenen Orten (siehe Abbildung unten).

Legende: Illustration von subjektiv wahrgenommenen Gefahrenhotspots und Blickverhalten an zwei untersuchten Orten. Rote gestrichelte Linien - Fahrtwege der Probanden (Start jeweils unten). Schwarze Zahlen - Über alle Probanden aufsummiertes Gefahrenlevel. Heatmap - Blickverteilung über alle Probanden hinweg (wachsende dwell time von blau zu rot).

In der selben Arbeit erstellten wir für jeden Blickpunkt den Isovisten, und zeigten, dass die Eigenschaften des aktuellen Sichtfelds (also bspw. die Größe und Anzahl von Sichthindernissen) einen direkten Einfluss auf das Blickverhalten von Radfahrern haben, und damit z.B. auch auf die Möglichkeit, Gefahrensituationen früh genug wahrzunehmen.

Legende: Links - schematisierter Bewegungsvektor (blaue Linie) mit Positionen während einer Blickfixation (body locations). Davon ausgehend zeigen Sichtvektoren (rote Linien) die Distanz und Abweichung von der eigenen Position an. Die Länge des Blickfixation ist über die Größe des grünen Kreises vermerkt. Rechts - Übertragung der schematisierten Darstellung auf das Blickverhalten eines Teilnehmenden. Die blaue Form illustriert den sichtbaren Raum (i.e., den Isovisten) von einem exemplarischen Blickpunkt (gesehen von der Position des weißen Kreises).

Aktuelle Studien

Subjektive Sicherheit bei Überholvorgängen

In Kooperation mit Nils Riach und Rafael Hologa messen wir mittels des OpenBikeSensors (https://www.openbikesensor.org/) an diversen Stellen in Freiburg den Abstand, mit dem Autofahrer Radfahrer überholen. Gleichzeitig ermitteln wir in einer web-basierten Umfrage für die selben Orte, wie gefährlich diese Orte bzw. der Abstand überholender Autos von Radfahrern wahrgenommen wird (siehe Abbildung unten). Wir wollen vergleichen, inwieweit der reale Überholabstand mit der gefühlten Sicherheit übereinstimmt, und wie sich bspw. Radspuren auswirken.

Dabei bauen wir auf den Ansätzen des Berliner Straßenchecks (https://interaktiv.tagesspiegel.de/lab/strassencheck/) auf. Die dort erhobenen Daten wurden bereits mit einem Fokus auf die Elemente untersucht, welche Radspuren als subjektiv sicher oder unsicher erscheinen lassen (von Stülpnagel & Binnig, 2022).

Kooperationspartner

  • Stefan Gössling (T3 Freiburg, Freiburg)
  • Nils Riach & Rafael Hologa (Physische Geographie, Uni Freiburg)
  • Sven Lißner (Verkehrsökologie, Uni Dresden)
  • Heiko Rintelen, Nora Binnig (FixMyCity, Berlin)
  • Anja Huemer, Axel Leonhardt (Uni BW München)

Förderung

  • Raumkonfiguration als Ursache subjektiver Gefährdung bei Radfahrern im Straßenverkehr: Eine Space Syntax Analyse von Crowdsourcing-Daten in der Münchner Innenstadt. Innovationsfonds Forschung 2015/1, Freiburg University

Publikationen